Die Gesellschaft für Tanzforschung (gtf) und der Berufsverband der TanztherapeutInnen Deutschlands (BTD) haben am 13. Mai 2023 den Forschungstag Tanztherapie an unserer Fakultät veranstaltet.
Angesichts gravierender gesellschaftlicher Veränderungen, die seit dem letzten Forschungstag Tanztherapie 2019 stattgefunden haben, wurde der ein Blick auf die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Tanztherapie geworfen.
Historiographie: Im Fokus stand eine Reflexion der Wurzeln von Tanztherapie in tänzerischen, (psycho)therapeutischen sowie genuin tanztherapeutischen Kontexten. Was ist das Erbe der Tanztherapie in Deutschland? Viele tanztherapeutische Ansätze haben bis heute unhinterfragt die historisch bedingten Auffassungen des Ausdruckstanzes und des Modernen Tanzes fortgeschrieben. Wie sieht eine kritische Perspektive auf diese Geschichte/Geschichtsschreibung aus? Wie kann eine solche Perspektive fruchtbar gemacht werden für ein reflektiertes Weiterschreiben tanztherapeutischer Entwicklungen? Es bieten sich hierbei konstruktive Bezugnahmen zu neueren Entwicklungen in Tanz und (Psycho)Therapie an, die auf ihre Anschlussfähigkeit an Tanztherapie zu prüfen sind. Letztlich rückt ein Blick auf die historische und gesellschaftliche Verfasstheit von Körpern und Bewegungen auch den Tanz als das therapeutische Medium der Tanztherapie verstärkt ins Zentrum.
Interdisziplinarität: Ein weiteres bedeutsames Feld ist die Verortung der Tanztherapie im gegenwärtigen Feld wissenschaftlicher Forschung. Wir laden ein, Tanztherapie in ihrem interdisziplinären Kontext zu betrachten und auf konstruktive Fragestellungen und Orientierungen aus angrenzenden Wissenschaftsfeldern zu erforschen. Welche Erkenntnisse aus Psychologie und Psychotherapie, Tanz- und Tanzwissenschaft, den verschiedenen Körper- und Kreativtherapien, Medizin, Kultur- und Sozialwissenschaften sowie Philosophie uvm. bringen die Tanztherapie in Bewegung und richten sie in die Zukunft aus? Während viele therapeutische Felder sich in ihrer Eigenständigkeit positionieren, fällt zugleich auf, dass zahlreiche Berührungspunkte bestehen und fruchtbar gemacht werden können. Wie lassen sich aus diesen Berührungspunkten therapeutische Synergien gewinnen?
Zukunftsperspektiven: Schließlich wurden Ideen und Visionen in den Blick genommen, die Zukunftsperspektiven für Tanztherapie als professionelle Praxis entwerfen. Eine proaktive Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Verortung sowohl von Tanztherapie als auch von Tanztherapeut:innen - und hier insbesondere mit Fragen von Macht, Diskriminierung und Vielfalt - ist unabdingbar. Da Fragen der Ethik und Politisierung in Tanz und Psychotherapie schon länger bzw. immer wieder reflektiert werden und wurden, bietet sich hier auch für die Tanztherapie ein Potenzial von Entwicklung. Körper, Bewegungen und Tanz in ihren historischen, gesellschaftlichen und individuellen Prägungen in den Blick zu nehmen, ist gerade für Tanztherapeut*innen auch deshalb relevant, weil unsere Erfahrungen, wie wir die Welt erleben und uns in ihr bewegen und unser Bezug zu uns selbst und zu anderen sich grundlegend anders gestalten, je nachdem, wie wir positioniert sind. Dafür bedarf es einer kritischen Reflexion des eigenen In-der-Welt-Seins unter Einbezug der damit einhergehenden bewussten und unbewussten Diskriminierungen und Privilegien. Schließlich gilt es, die Überzeugung aufzugeben, Tanz an sich sei unschuldig und heilsam und das Spannungsfeld zwischen Tanz als Medium der Heilung, der Transformation und des Widerstandes versus Tanz als Mittel des othering und der Zurichtung in den Blick zu nehmen.
Mit dem Forschungstag Tanztherapie 2023 sollten mehr das Fragen als das Antworten in den Fokus rücken und vielfältige Forschungsperspektiven und -zugänge sichtbar gemacht werden: Solche, die bisher noch im Verborgenen stattfinden ebenso wie solche, die bereits veröffentlich sind.